Keine Auswanderung des Kindes: Neuruppin statt Andorra
Nach der Trennung von Eltern kommt es häufig dazu, dass ein Elternteil – sei es aus privaten oder beruflichen Gründen – seinen Wohnort verlegen muss. Insbesondere wenn aus der Beziehung hervorgegangene Kinder im Haushalt dieses Elternteils leben, hat eine örtliche Veränderung Auswirkungen auf die Frage, ob und wie künftig Umgangskontakte mit dem anderen Elternteil sichergestellt werden können. Im schlechtesten Fall kann ein solcher Ortswechsel zum völligen Abbruch persönlicher Kontakte führen.
Wenn es um die Auswanderung eines Elternteils geht, bedarf es einer umfassenden gerichtlichen Klärung, wie ein Fall aus Neuruppin zeigt. Nach 20 Jahren Ehe haben sich die Eheleute scheiden lassen, die 13-jährige Tochter lebte im Haushalt der Kindesmutter in Neuruppin in Brandenburg. Der Kindesvater, der enge Beziehung zu seiner Tochter hatte, wollte von Neuruppin nach Andorra umziehen und beantragte beim Familiengericht, ihm das sogenannte Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen, damit er über den Lebensmittelpunkt seiner Tochter allein entscheiden kann. Die Tochter selbst hat den Wunsch geäußert, beim Vater leben zu wollen.
Das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg hat entschieden (Beschluss vom 6. November 2018, Aktenzeichen 13 UF 174/17), dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Kindesmutter zu übertragen ist. Die elterliche Sorge sei aufzuheben gewesen, da es an einem Mindestmaß an Übereinstimmung bei den Eltern fehle. Der Grundsatz der Beziehungskontinuität spreche für einen Verbleib des 13-jährigen Mädchens im Haushalt der Mutter, da im dortigen Umfeld die Beziehung zu Geschwistern und zur Mutter wesentlich enger sei als zum Vater.
Darüber hinaus war auch entscheidend, dass es dem Kindesvater nicht gelungen ist, seine wirtschaftliche Situation für den Aufenthalt in Andorra deutlich zu machen. Zum einen habe der Kindesvater über längere Zeiträume keinen Unterhalt gezahlt, zum anderen habe er entsprechende Einkommens-und Vermögensverhältnisse nicht dargelegt und auch einen Arbeitsvertrag trotz Aufforderung des Oberlandesgerichts nicht vorgelegt. Beim Kindesvater sei ein wirtschaftlicher Mindeststandard nicht gewährleistet und eine ungesicherte wirtschaftliche Situation zu befürchten, die eine Instabilität der Lebensverhältnisse für das Kind mit sich bringe.
Diese beiden Aspekte, enge Bindung zur Mutter und fehlende wirtschaftliche Grundlage beim Vater, sind nach Ansicht des OLG ausreichender Grund dafür, dass das Kind bei der Mutter in Neuruppin verbleibe, obwohl es gegenüber dem Gericht einen anderen Wunsch (Wechsel zum Vater nach Andorra) geäußert habe.
Fazit: Es bedarf einer sorgfältigen Prüfung zu den persönlichen Umständen des Kindes, in die etwa seine Widerstandsfähigkeit mit Blick auf die notwendigen Anpassungsprozesse im Fall einer Auswanderung ebenso einzubeziehen sind, wie die Tatsache, dass das Kind durch die Auswanderung möglicherweise einen Elternteil nicht mehr so häufig sieht oder gar für den Fall, dass das Gericht eine Auswanderung des Kindes untersagt, es seine bisherige Hauptbezugsperson verliert.
Autor dieses Beitrages ist Rechtsanwalt Henning Gralle, Fachanwalt für Familienrecht www.fachanwalt-gralle.de