Minderjährige darf ohne Zustimmung der Eltern abtreiben

SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH – Persönlichkeitsrecht der Schwangeren rechtfertigt eigene Entscheidung

Müssen die Sorgeberechtigten einem Schwangerschaftsabbruch einer Minderjährigen zustimmen? Hat sie die nötige Einsicht und Entscheidungskompetenz? Eine komplexe Problematik, wie der Fall einer 16-Jährigen zeigt.

Eine 16-jährige junge Frau, deren Eltern gemeinsam sorgeberechtigt sind, befindet sich in der 11. Schwangerschaftswoche und möchte einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Der Vater ist mit dem Abbruch einverstanden, die Mutter ist dagegen. Die werdende Mutter hat sich eigenständig über die Möglichkeiten der Fortsetzung sowie des Abbruchs der Schwangerschaft informiert. Sie hat mehrere Beratungsgespräche bei der AWO und bei Fachärzten für Frauenheilkunde sowie ein gemeinsames Gespräch mit ihrer Mutter beim Jugendamt wahrgenommen. Das Familiengericht erster Instanz hat entschieden, die Abbruchentscheidung bedürfe der Zustimmung der Eltern.

Das Urteil des OLG

Das Oberlandesgericht Hamm (Aktenzeichen 12 UF 236/19) hat in einer Entscheidung vom November vergangenen Jahres betont, dass eine Zustimmung der Eltern zum Schwangerschaftsabbruch nicht erforderlich sei.

Die Begründung

Zur Begründung führt das OLG aus, dass die Einwilligung in einen körperlichen Eingriff nicht mehr als rechtsgeschäftliche Verfügung angesehen werden könne, da in der Gesetzesbegründung ausdrücklich darauf verwiesen werde, dass für die Einwilligungsfähigkeit die natürliche Willensfähigkeit des Patienten entscheidend sei. Es komme daher nicht auf die Geschäftsfähigkeit gem. §§ 104 ff. BGB an.

Der Umstand, dass die 16-jährige bei gegebener Einsichtsfähigkeit selbst in einen Eingriff einwilligen müsste, schließe aber nicht aus, dass sie zumindest in bestimmten Konstellationen auch der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter bedürfte, da die Personensorge auch das Recht und die Pflicht zur Pflege, Erziehung und Betreuung des Kindes umfasse, einschließlich der Sorge für die physische und psychische Gesundheit.

Gleichzeitig sehe das Gesetz aber auch vor, dass die wachsende Fähigkeit und das Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen sei. So stehe einem Minderjährigen nach vollendeten 14.

Lebensjahr frei, über sein religiöses Bekenntnis zu entscheiden. Im Hinblick auf die Einwilligung in medizinische Eingriffe habe der Gesetzgeber bewusst eine starre Altersgrenze vermieden.

Grundrechtlich geschütztes Selbstbestimmungsrecht

Die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch betreffe den engen Kern des grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts. Weise die Minderjährige die nötige Reife auf, diese Entscheidung zu treffen, sei ihrem Selbstbestimmungsrecht der Vorrang vor dem elterlichen Erziehungsrecht einzuräumen, so dass es ausschließlich auf ihre Entscheidung ankomme. Da die Alleinkompetenz der Minderjährigen von ihrer Einwilligungsfähigkeit abhänge, seien an deren Feststellung durch den behandelnden Arzt hohe Anforderungen zu stellen. Bei der Einsichtsfähigkeit komme es sowohl auf die Fähigkeit zur medizinischen Selbstbestimmung als auch die Fähigkeit zur Rechtsgüterabwägung an. Zwar sei ab Vollendung des 16. Lebensjahres eher eine hinreichende Reife anzunehmen, doch sei eine ernsthafte Prüfung gleichwohl in jedem Fall erforderlich.

Reifeprüfung

Im konkreten Sachverhalt gehe der Senat – auf Grund des persönlich gewonnen Eindrucks sowie der vorliegenden Stellungnahmen der AWO, des Jugendamts und auch des Klassenlehrers – davon aus, dass die junge Frau alle Möglichkeiten und Folgen des Schwangerschaftsabbruchs erfasst und abgewogen habe, so dass sie in der Lage sei, die Entscheidung eigenverantwortlich zu treffen.

Notwendigkeit der Einzelfallprüfung

Mit Blick auf die Komplexität der Problematik scheidet jede Schematisierung aus und es bedarf stets einer Einzelfallprüfung. In diese ist das Alter der Schwangeren (Nähe zur Volljährigkeit – hier 16 Jahre) ebenso einzubeziehen wie ihre Fähigkeit zu einem selbstständigen verantwortungsbewussten Handeln. Deren Bewertung wird sich auch daran messen lassen, wie ernsthaft und intensiv sich die Minderjährige – auch durch Gespräche mit Beratungsstellen – zu sämtlichen Aspekten sowohl mit Blick auf die Geburt des Kindes als auch eines Abbruchs der Schwangerschaft auseinandergesetzt hat.